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30.10.2025 | Arbeitsrecht | ID: 1235643

Freie Dienstnehmer:innen bei Plattformarbeit – ein arbeitsrechtlicher Brennpunkt

Johann Schöffthaler

Gerade bei Plattformarbeit, wie Lieferservice oder Postzustellung, zeigt sich, dass die Grenze zwischen echtem und freiem Dienstvertrag zunehmend verschwimmt. Eine geplante Novelle soll nun Verbesserungen für freie Dienstnehmer:innen bringen.

Freie Dienstnehmer:innen und Kollektivvertrag: Geplante Neuerungen

Kollektivverträge sind bisher nicht auf freie Dienstnehme:rinnen anzuwenden. Im aktuellen Regierungsprogramm wurde daher vereinbart, dass die Möglichkeit der Anwendung von Kollektivverträgen auf freie Dienstnehmer:innen geschaffen werden soll. Durch deren Einbeziehung nach § 4 Abs 4 ASVG in den Anwendungsbereich der Kollektivverträge können für diese Personengruppe nunmehr Mindeststandards festgelegt werden, die die Beschäftigung auf Basis solcher Vertragsverhältnisse und somit die Umgehung arbeitsrechtlicher Bestimmungen weniger attraktiv machen.

Brennpunkt Plattformarbeit

Die Diskussion rund um die rechtliche Stellung freier Dienstnehmer:innen hat in den letzten Jahren stark an Dynamik gewonnen. Gerade im Bereich der Plattformarbeit – insbesondere bei Lieferdiensten oder in der Paketzustellung („Last Mile“) – zeigt sich, dass die Grenze zwischen echtem Dienstverhältnis und freiem Dienstvertrag zunehmend verschwimmt.

Die österreichische Arbeitsrechtsordnung unterscheidet zwischen Arbeitsverträgen (§§ 1151 ff ABGB) und freien Dienstverträgen (§ 1151 ABGB analog). Während Arbeitnehmer:innen in einem echten Arbeitsverhältnis in einem besonderen persönlichen Abhängigkeitsverhältnis stehen und durch arbeitsrechtliche Normen sowie Kollektivverträge geschützt werden, unterliegen freie Dienstnehmer:innen nur den allgemeinen Bestimmungen des Zivilrechts und den sozialversicherungsrechtlichen Regelungen des ASVG.

Diese Differenzierung gewinnt insbesondere im Bereich der Plattformarbeit (Lieferdienste, Paketzustellung, digitale Crowdworking-Plattformen, etc.) an Brisanz. Hier wird der freie Dienstvertrag häufig als Vertragsform eingesetzt, obwohl die Tätigkeit nach ihrer faktischen Ausgestaltung regelmäßig Merkmale eines Arbeitsvertrages aufweist.

Stellung von freien Dienstnehmer:innen: Derzeitige Ausgangslage

Nach derzeitiger Rechtslage fallen freie Dienstnehmer:innen nicht unter die klassischen arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen. Während Arbeitnehmer:innen durch das Arbeitsrecht (zB.Arbeitszeitgesetz, Urlaubsgesetz, Angestelltengesetz) sowie durch Kollektivverträge abgesichert sind, gelten für freie Dienstnehmer:innen nur die allgemeinen Bestimmungen des ABGB. Sie sind zwar in die Sozialversicherung (§ 4 Abs 4 ASVG) einbezogen, aber zentrale arbeitsrechtliche Schutzmechanismen wie Kündigungsschutz, Entgeltfortzahlung oder Mindestlöhne greifen nicht.

Novelle für freie Dienstverhältnisse

Das Regierungsprogramm bzw der aktuelle Ministerialentwurf 36/ME XXVIII. GP sieht nun Reformen vor, insbesondere:

  • Kündigungsregelungen im ABGB auch für freie Dienstverhältnisse,
  • Einbeziehung freier Dienstnehmer:innen in Kollektivverträge,
  • Schaffung von Mindeststandards, um missbräuchliche Vertragsgestaltungen zu verhindern.

Damit soll verhindert werden, dass Unternehmen aus rein wirtschaftlichen Motiven „freie Dienstverträge“ einsetzen, obwohl die Tätigkeit de facto einem Arbeitsverhältnis entspricht (ein Abgrenzungskriterium hierbei ist die persönliche Abhängigkeit!).

Unterscheidungsmerkmal persönliche Abhängigkeit von Arbeitnehmer:innen

Das zentrale Unterscheidungsmerkmal bleibt die persönliche Abhängigkeit. Diese liegt vor, wenn Arbeitnehmer:innen:

  • in den betrieblichen Ablauf eingegliedert sind,
  • Arbeitszeit und -ort nicht frei gestalten können,
  • Weisungen befolgen müssen,
  • einer laufenden Kontrolle unterliegen.

Die ständige Rechtsprechung des OGH definiert das Arbeitsverhältnis durch die persönliche Abhängigkeit (vgl OGH 9 ObA 29/18t; 8 ObA 25/16p, hier ging es um Umkleide- und Wegzeiten).

Maßgebliche Kriterien sind:

  • Einbindung in den Arbeitsprozess (vgl OGH 8 ObA 26/15h),
  • Weisungsgebundenheit hinsichtlich Zeit, Ort und Inhalt der Arbeit,
  • Kontrollunterworfenheit,
  • fehlendes Unternehmerrisiko (keine wesentlichen eigenen Betriebsmittel, keine Preisgestaltungsmacht).

Demgegenüber kennzeichnet den freien Dienstvertrag eine größere Selbstbestimmung bei der Arbeitsorganisation, wenngleich auch hier eine persönliche Leistungspflicht (§ 4 Abs 4 ASVG) besteht.

Die Abgrenzung erfolgt stets durch eine Gesamtbetrachtung („typologische Methode“). Einzelne Indizien genügen nicht; entscheidend ist das Überwiegen der Merkmale (vgl OGH 9 ObA 93/19z, hier Kürzung des Arbeitsentgelts durch Entzug der Funktion als Direktionsleiter, womit ein Organisationspauschale und die Gestaltung der privaten Benützung des Dienstkraftwagens verbunden war).

Hinweis des Autors:

In der Praxis sind viele Plattformarbeiter:innen formal als freie Dienstnehmer:innen eingestuft, erfüllen aber genau diese Kriterien. Damit drängt sich die Frage auf, ob es sich nicht in Wahrheit um Scheinselbstständigkeit handelt.

Rechtsfolgen der Einstufung

Die Rechtsfolgen der Einstufung wären bei Vorliegen eines:

  • „Arbeitsvertrages“: Anwendung sämtlicher arbeitsrechtlicher Schutzgesetze (AngG, UrlG, AZG, ArbVG), kollektivvertragliche Normen, Kündigungsschutz (§ 105 ArbVG), Entgeltfortzahlung (§ 8 AngG).
  • „Freien Dienstvertrages“: Anwendung nur allgemeiner zivilrechtlicher Regeln (ABGB), Einbeziehung in die Sozialversicherung (§ 4 Abs 4 ASVG), kein Anspruch auf kollektivvertragliche Mindestlöhne oder Kündigungsschutz.

Hinweis des Autors:

In der Praxis führt das Vorliegen eines „freien Dienstvertrages“ zu erheblichen Schutzlücken für freie Dienstnehmer:innen.

Freies Dienstverhältnis: Eine Europäische Perspektive

Plattformen wie Wolt Austria GmbH (hier seitens des Autors als positives lösungsorientiertes Beispiel angeführt) treten auf europäischer Ebene für die Beibehaltung des freien Dienstvertrages ein, argumentieren aber gleichzeitig für Verbesserungen in ihrer Stellungnahme vom 8. September 2025 zum Ministerialentwurf:

  • Möglichkeit zur Kollektivverhandlung auch für Selbstständige,
  • Abführung von Sozialversicherungs- und Steuerbeiträgen durch Plattformen,
  • Gewährung freiwilliger Zusatzleistungen (zB Krankenversicherung, Urlaubsgeld),
  • Klare gesetzliche Kriterien, wann eine Tätigkeit selbstständig ist.

(vgl. Wolt (2021), Stellungnahme zur EU-Konsultation „Tarifverträge für Selbstständige”, https://ec.europa.eu/info/law/better-regulation/have-your-say/initiatives/12483-Tarifvertrage-fur-Selbststandige-Anwendungsbereich der-EU-Wettbewerbsvorschriften/F1574224_de)

Dieses Modell soll mehr Flexibilität sichern, birgt aber die Gefahr, dass Schutzrechte weiterhin umgangen werden können.

Problematik Scheinselbstständigkeit

Die Problematik der Scheinselbstständigkeit bei Plattformarbeit ist auch Gegenstand unionsrechtlicher Initiativen. Die EU-Kommission hat 2021 einen Richtlinienvorschlag zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit vorgelegt und eine Richtlinie für Plattformarbeit vorgelegt.

Die zentralen Inhalte: hierbei sind:

  • Vermutung eines Arbeitsverhältnisses bei Vorliegen bestimmter Indizien,
  • Beweislastumkehr zugunsten der Arbeitnehmer:innen,
  • Transparenzpflichten für Plattformen.

Kritische Würdigung seitens des Autors

Das österreichische Reformbemühen im Regierungspragramm ist ein wichtiger Schritt (siehe dazu: Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch, Arbeitsverfassungsgesetz ua, Änderungen (36/ME) | Parlament Österreich vom 19.09.2025). Es wird erstmals versucht, Mindeststandards für freie Dienstnehmer:innen festzulegen und damit ein Stück weit Schutzlücken zu schließen. Dennoch bestehen wesentliche Probleme:

  1. Kontrolldefizit bei Scheinselbstständigkeit: Solange es keine Instanz gibt, die eine falsche Einstufung verbindlich korrigieren und eine echte Anstellung anordnen kann, bleibt das Risiko hoch, dass Unternehmen weiter auf freie Dienstverträge ausweichen. Derzeit trägt die betroffene Person das volle Prozessrisiko – und verliert im Zweifel durch Kündigung sofort ihr Einkommen.
  2. Ungleichgewicht der Verhandlungsmacht: Einzelne freie Dienstnehmer:innen haben in der Praxis keine Chance, faire Bedingungen durchzusetzen. Selbst wenn theoretisch Kollektivverträge geöffnet werden, fehlt es an effektiven Mechanismen zur Durchsetzung.
  3. Fragmentierung des Arbeitsmarktes: Plattformarbeit führt zu einer Zersplitterung in verschiedene Beschäftigungsformen. Anstatt einheitliche Standards zu schaffen, droht ein „Arbeitsrecht zweiter Klasse“ für freie Dienstnehmer:innen.

Fazit des Autors

Die geplanten Änderungen sind sinnvoll, reichen aber nicht aus. Es braucht:

  • eine klarere gesetzliche Definition von Scheinselbstständigkeit,
  • eine behördliche Kontrollinstanz mit Sanktionsmöglichkeiten,
  • eine Verpflichtung zur Anstellung bei Feststellung persönlicher Abhängigkeit,
  • und eine echte kollektivvertragliche Absicherung für Plattformarbeit.

Ohne diese Schritte bleiben freie Dienstverhältnisse ein Einfallstor für Lohndumping und die Aushöhlung arbeitsrechtlicher Standards. Die Plattformökonomie darf nicht zum rechtsfreien Raum werden.

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