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02.12.2025 | Bau & Immobilien | ID: 1237417

Winterdienst: Verkehrssicherungspflichten bei Schnee und Glatteis

Anna Sophie Dalinger

Verkehrssicherungspflichten im Zusammenhang mit Schneeräumung werden sowohl von der StVO als auch vom ABGB berührt. Worauf die Hausverwaltung beim Winterdienst zu achten hat, lesen Sie hier.

Die Schneeräumung gehört in der Immobilienverwaltung zu den sichtbarsten Ausprägungen der Verkehrssicherungspflicht. Sie betrifft einerseits die öffentlich-rechtlich normierten Pflichten der Anrainer zur Reinigung, Räumung und Bestreuung entlang der Liegenschaft; andererseits die zivilrechtlichen Konsequenzen bei Unfällen auf nicht ordnungsgemäß betreuten Gehflächen. Leitend ist das Zusammenspiel von Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) und Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB), wobei § 93 StVO den Maßstab der konkreten Verrichtungen und Zeitfenster setzt, während das ABGB die deliktische Haftung bei Pflichtwidrigkeiten rahmt. Das Spannungsfeld zwischen Sicherheitserwartungen der Verkehrsteilnehmer und den Grenzen des objektiv Zumutbaren prägt die Kasuistik der Gerichte.

Schneeräumung und Winterdienst: Verantwortungszuordnung in der Immobilienverwaltung

Die primäre Pflichtadressierung trifft die Eigentümer der Liegenschaft; in der Wohnungseigentumsanlage bildet die Eigentümergemeinschaft den verantwortlichen Verband, der die Organisation des Winterdienstes zu gewährleisten hat. Überträgt die Gemeinschaft den Winterdienst auf die Hausverwalterin, entsteht – neben der möglichen Zurechnung nach § 1313a ABGB im Verhältnis zu Hilfspersonen – eine Haftung der Gemeinschaft für Organisations-, Auswahl- und Überwachungsverschulden der Verwalterin. Übergibt die Verwalterin die operative Durchführung an ein Fremdunternehmen, bleiben Organisation und Kontrolle als Kernpflichten bestehen; die Haftung kann sich dann aus einem zurechenbaren Auswahl- oder Überwachungsverschulden ergeben.

Nimmt eine Gemeinde den Winterdienst außerhalb einer gesetzlichen Pflicht eigenverantwortlich wahr, haftet sie jedenfalls für das Verschulden der für Organisation und Überwachung eingesetzten Personen. Dies unterstreicht die haftungsrechtliche Relevanz der Organisationsebene: Fehler in Planung, Personaleinsatz oder Kontrolle führen zur deliktischen Verantwortlichkeit desjenigen, der die strukturelle Zuständigkeit innehat.

Inhalt, Umfang und Grenzen der Räum- und Streupflichten

Die Pflichten sind werktäglich und an Sonn- und Feiertagen in der Zeit von 6 bis 22 Uhr zu erfüllen. Entlang der ganzen Liegenschaft sind vorhandene Gehsteige und Gehwege ausreichend zu säubern und bei Schnee oder Glatteis zu bestreuen. Fehlt ein Gehsteig, ist der Straßenrand in der Breite von einem Meter zu behandeln, in Fußgängerzonen und Wohnstraßen ohne Gehsteig ein 1 Meter breiter Streifen entlang der Häuserfronten. Bei der Durchführung sind Gefährdungen und Behinderungen zu vermeiden; erforderlichenfalls sind gefährdete Stellen während der Arbeiten abzusichern. Besonderes Augenmerk ist auf den Abfluss des Wassers, auf Gitter und Rinnsale, auf Leitungs- und Beleuchtungsanlagen sowie – in der geltenden Fassung besonders hervorgehoben – auf den Schutz von Bäumen und Grünflächen bei der Salzstreuung zu legen.

Die Zumutbarkeitsgrenze bildet das pragmatische Korrektiv. Der OGH stellt klar, dass Inhalt und Intensität der Streupflicht anhand der konkreten Verkehrsbedürfnisse und der Zumutbarkeit zu bestimmen sind. Eine ununterbrochene Räumung während andauernden, teilweise starken Schneefalls ist unzumutbar; auchStreumaßnahmen können dann wegen anhaltenden Niederschlags wirkungslos sein. Die Pflicht entfällt für Zeiträume, in denen eine Beseitigung der Gefahr praktisch nur für fünf bis zehn Minuten Wirkung entfalten würde und daher ohne unzumutbare Wiederholung zwecklos wäre. Diese Grundsätze entlasten jedoch nur im tatsächlichen Umfang der Unmöglichkeit oder Nutzlosigkeit; sie ersetzen nicht die Pflicht, bei nachlassendem Schneefall oder bei vorhersehbarer Glatteisbildung rechtzeitig tätig zu werden.

Die Schutzgesetzqualität des § 93 StVO führt dazu, dass der Nachweis der objektiven Normverletzung regelmäßig genügt; der Verpflichtete hat die Umstände der Entlastung darzutun, etwa anhaltenden Schneefall bis in den späten Nachmittag und dadurch verursachte Zwecklosigkeit des Streuens. Umgekehrt begründet die absehbare Glatteisbildung – etwa aufgrund von Wettervorhersagen – die Pflicht, angemessene Streumengen präventiv einzusetzen. Auch eine Hausverwaltung oder Gemeinde, die den Winterdienst durchführt, muss die vorhersehbaren Gefahrenlagen aktiv berücksichtigen und das Streubild anpassen.

Verhältnis zu § 1319a ABGB und Konkurrenz von Pflichten

Die Räum- und Streupflicht nach § 93 Abs 1 StVO besteht neben den Pflichten des Wegehalters. Allerdings sind der Anrainer und der nach § 93 Abs 5 StVO an seine Stelle Tretende gerade nicht Wegehalter im Sinn des § 1319a ABGB, sondern haften nach den allgemeinen deliktischen Regeln auch für leichte Fahrlässigkeit. Demgegenüber greift § 1319a ABGB für Wegteile außerhalb des nach § 93 Abs 1 StVO zu betreuenden Randstreifens; dort setzt die Wegehalterhaftung grobe Fahrlässigkeit voraus, was die Deliktslage differenziert. Praktisch bedeutet das eine doppelte Aufmerksamkeitsschwelle: Entlang der Liegenschaft wirkt § 93 StVO mit strengerem Fahrlässigkeitsmaßstab, jenseits des Randstreifens ist § 1319a ABGB leitend.

Diese Systematik erfordert in der Praxis eine klare kartografische und organisatorische Abgrenzung von Zuständigkeitszonen, insbesondere an Schnittstellen zwischen Anrainerflächen und übrigen Wegteilen. Wer außerhalb des § 93-Bereichs als Wegehalter agiert, ist nach § 1319a ABGB nur bei grober Fahrlässigkeit haftbar, die der OGH als auffallende Sorglosigkeit mit nahe liegender Schadenswahrscheinlichkeit umschreibt. Die sorgfältige Dokumentation der winterdienstlichen Maßnahmen gewinnt damit doppeltes Gewicht: Sie belegt Erfüllungspflichten im § 93-Bereich und schützt vor dem Vorwurf grober Fahrlässigkeit auf übrigen Wegteilen.

Winterdienst: Delegation, Organisation und Kontrolle

Die bloße Delegation enthebt nicht von Verantwortung. Überträgt der Eigentümer seine § 93-Pflichten rechtsgeschäftlich, tritt der Verpflichtete an seine Stelle; daneben bleibt die Pflicht zur Auswahl, Instruktion und Überwachung des eingesetzten Unternehmers. Für die Eigentümergemeinschaft bedeutet dies, dass sie entweder selbst – etwa über den Hausbetreuer – schlüssige Einsatz- und Kontrollpläne implementieren oder den Verwalter dazu verpflichten muss, wobei der Verwalter für Organisations- und Überwachungsversäumnisse haftungsrechtlich einsteht. Die Rechtsprechung formuliert insoweit präzise Zurechnungsregeln: Auch wenn die schädigende Handlung durch eine vom Verwalter eingesetzte Hilfsperson erfolgt, haftet die Gemeinschaft für dem Machthaber zurechenbares Organisationsverschulden.

Der Organisation kommt deshalb Vorrang vor ad-hoc-Reaktionen zu. Beginn, Frequenz und Intensität der Kontrollen, die Wahl geeigneter Streumittel unter Beachtung des Vegetationsschutzes, die Absicherung während der Arbeiten, die Kommunikation mit Bewohnern und die lückenlose Dokumentation sind integrale Elemente einer haftungsfesten Winterdienstorganisation. Eine über Jahre verlässlich erfüllte Streu- und Räumpraxis kann die Pflicht zu besonderen Zusatzkontrollen entfallen lassen; umgekehrt begründet das Wegfallen bisher verlässlicher Routinen oder das Auftreten besonderer Gefahrenmomente Anlass für verdichtete Kontrollen.

Verwaltungsrechtliche Aspekte und Sanktionen

Die Pflichten nach § 93 StVO sind straßenpolizeiliche Verpflichtungen. Ihre Verletzung kann verwaltungsstrafrechtlich geahndet werden; die Strafbarkeit richtet sich nach § 99 StVO, der Übertretungen gegen Vorschriften des Bundesgesetzes sanktioniert, soweit keine spezielleren Strafbestimmungen eingreifen. Daneben kommen bescheidmäßige Anordnungen oder Verordnungen der Behörde nach § 93 Abs 4 StVO in Betracht, die Zeiten oder Umfang der Pflichten im örtlichen Kontext modifizieren. In der Praxis wird die Verweisung auf den Fußgängerschutz von den Verwaltungsgerichten konsequent betont; die relative Häufigkeit der Nutzung ist kein Kriterium gegen das Erfordernis der Winterbetreuung.

Bewilligungspflichtig ist das Ablagern von Schnee aus Häusern und Grundstücken auf die Straße; die Bewilligungsvoraussetzungen knüpfen an die Verkehrssicherheit und -leichtigkeit an. Fehlende Bewilligungen können, neben der zivilrechtlichen Haftung bei Folgeunfällen, verwaltungsstrafrechtliche Konsequenzen auslösen. Für die Praxis empfiehlt sich daher eine frühzeitige Abstimmung mit der Behörde, wo absehbar regelmäßig größere Schneemengen aus beengten Innenhöfen auf öffentliche Flächen verbracht werden müssten.

Winterdienst: Vertrags- und Organisationsgestaltung in der Verwaltungspraxis

Die Winterdienstorganisation beginnt mit der eindeutigen Verantwortungszuordnung. In Miet- und Verwaltungsverträgen ist die Übernahme der Pflichten nach § 93 StVO klar zu regeln, einschließlich Beginn und Ende der Einsatzzeiten, Prioritäten bei Schneefall, Mindestbreiten, Streumittelwahl sowie Interventions- und Kontrollintervallen. Die rechtliche Wirksamkeit der Übertragung im Sinn des § 93 Abs 5 StVO sollte ausdrücklich und schriftlich erfolgen; bloße interne Abmachungen, die dem Verkehr nicht entgegentreten, sind haftungsrechtlich unzureichend. Das Zusammenspiel mit § 1313a ABGB erfordert klare Weisungs- und Kontrollrechte gegenüber beauftragten Unternehmen.

Die Dokumentation der Maßnahmen ist zugleich Organisations- und Beweismittel. Ausrückzeiten, Räum- und Streustrecken, eingesetzte Streumengen, Witterungsdaten und Fotodokumentation gefährlicher Stellen schaffen ein belastbares Tatsachengerüst für den Fall von Sturzereignissen. In Phasen anhaltenden Schneefalls – in denen die Zumutbarkeitsgrenze das Maß der möglichen Gefahrenabwehr temporär begrenzt – ermöglicht eine fortlaufende Dokumentation die schlüssige Darlegung, dass weitergehende Maßnahmen praktisch wirkungslos gewesen wären. Sobald die Witterungslage die Wirksamkeit erwarten lässt, müssen Einsätze unverzüglich verdichtet werden.

Handlungsempfehlungen für eine haftungsfeste Winterdienstpraxis

Für die Verwaltungspraxis ist eine frühzeitig definierte, redundanzarme Organisation ausschlaggebend. Verantwortlichkeiten sind rechtsgeschäftlich wirksam zu übertragen, operative Dienstleister sorgfältig auszuwählen, anweisungsfest zu instruieren und fortlaufend zu kontrollieren. Die Einsatzplanung muss Wetterprognosen, typische Tagesganglinien der Frequentierung und neuralgische Punkte abbilden. Während Phasen anhaltender Niederschläge die Pflicht temporär naturbedingt begrenzen können, verschiebt sich das Maß der Sorgfalt nach dem Ende der Niederschläge oder bei vorhersehbarer Glatteisbildung zu einer intensiven Einsatzpflicht; in diesen Phasen ist die Nachweisführung über zeitnahe, suffiziente Maßnahmen entscheidend.

In Bereichen mit Dachlawinenrisiko sind technische und organisatorische Maßnahmen zu bündeln. Die Wirksamkeit von Warnhinweisen ist kritisch zu evaluieren; wo die Gefährdung objektiv hoch ist, müssen technische Sicherungen und temporäre Sperren in den Vordergrund rücken. Jede Maßnahme ist zu protokollieren, um den Ex-ante-Charakter der Gefahrenbeurteilung im Prozess darzustellen. Wer Schnee aus Innenhöfen auf öffentliche Flächen verbracht wissen will, sollte die behördliche Bewilligung rechtzeitig einholen und betriebliche Notfallpläne für außergewöhnliche Schneemengen vorhalten.

Fazit

Die Schneeräumung ist in der Immobilienverwaltung ein Haftungsthema mit klaren rechtlichen Koordinaten und hohem Organisationsbezug. § 93 StVO definiert die Pflichtadressaten, die Zeitfenster und den Flächenumfang; als Schutzgesetz begründet er bei Verstößen deliktische Haftung bereits bei leichter Fahrlässigkeit. Die Judikatur zieht die Zumutbarkeitsgrenzen praxisnah entlang von Witterung und Wirksamkeit; sie schützt vor Überspannung der Pflichten, verlangt aber konsequente Vorsorge und Reaktion, sobald Maßnahmen wirkungsvoll sind. Dachlawinen und Eisbildungen am Dach ergänzen das Pflichtenprogramm um eine baulich-technische Dimension, die gerade innerstädtisch besonderes Augenmerk erfordert. Die entscheidende Stellschraube liegt in der verlässlichen Organisation: klare Übertragung, taugliche Auswahl, engmaschige Kontrolle und lückenlose Dokumentation. Wo diese Elemente ineinandergreifen, lässt sich das Haftungsrisiko nachhaltig minimieren – zum Schutz der Fußgänger, zur Rechtssicherheit der Verwaltungspraxis und im Interesse einer störungsarmen Nutzung der Liegenschaften.

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