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18.12.2020 | Ehe- und Familienrecht | ID: 1080217
Die so genannte Brüssel II-a-Verordnung (VO 2201/2003 vom 27.11.2003) regelt die internationale Zuständigkeit der Gerichte innerhalb der Europäischen Union (mit Ausnahme von Dänemark) in grenzüberschreitenden Ehe- und Kindschaftssachen. Diese Verordnung wird größtenteils im August 2022 durch die VO 2019/1111 vom 25. Juni 2019 (ABl der EU 2019 L 178/1) ersetzt werden.
Diese neue Verordnung 2019/1111 wird im Schrifttum überwiegend Brüssel II-b genannt. Eine offizielle einheitliche Bezeichnung gibt es aber ebenso wenig wie für die Brüssel II-a VO (auch EuFamVO etc genannt). Die VO 2019/1111 (im folgenden Text kurz Brüssel II-b genannt) beruht auf der in Art 81 Abs 2a AEUV eingeräumten Kompetenz.
Die Revision der Brüssel IIa-VO verfolgt laut Erwägungsgrund 2 der VO 2019/1111 (Brüssel II-b) im Wesentlichen die Ziele,
Der sachliche Anwendungsbereich (Art 1 Brüssel II-a und Brüssel II-b) bleibt gänzlich unverändert, was in der Literatur insofern kritisiert wird, als unklar bleibt, ob neue Formen der Ehe und Scheidung von der VO Brüssel II-b erfasst sind. Da in der Neufassung der VO „Gerichte“ weitgehend durch „Behörden“ ersetzt werden (Art 2 Brüssel II-b; siehe Erwägungsgrund 14 Brüssel II-b), die für Rechtssachen zuständig sind (inklusive Notare), mutmaßen Kohler/Pintens, dass „behördlich begleitete“ europäische Privatentscheidungen so wie gerichtliche Entscheidungen vom Anwendungsbereich der VO erfasst sind, nicht jedoch reine Privatentscheidungen nach islamischem Recht.
Zum zeitlichen Anwendungsbereich (ab 01.08.2022; Art 105 Brüssel II-b) ist noch anzumerken, dass die Artikel 92, 93 und 103 der VO 2019/1111 (über der Kommission mitzuteilende Angaben etc) bereits seit 22. Juli 2019 gelten (Art 105 Abs 2 VO 2019/1111). Die genannten Artikel betreffen nicht die Rechtspraxis; es geht um kommissionsinterne Belange.
Eine der bedeutendsten Änderungen ist die Abschaffung des Erfordernisses der Vollstreckbarerklärung im Anerkennungsstaat, Exequatur genannt (Art 30 ff VO 2201/2003, Brüssel II-a). Die Bestimmungen zu diesem Zwischenverfahren (Artt 28-36 Brüssel II-a) wurden also ersatzlos gestrichen. Dieser Entfall gilt nunmehr für alle in den Anwendungsbereich der VO fallende Entscheidungen über die elterliche Verantwortung. Vollstreckbare Entscheidungen in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung können damit ohne das Erfordernis einer Vollstreckbarerklärung grundsätzlich in einem anderen Mitgliedstaat vollstreckt werden.
Eine Partei kann aber – in Ausnahmefällen – die Ablehnung der Anerkennung und die Versagung der Vollstreckung im Vollstreckungsstaat in einem eigenen Verfahren beantragen (Art 38ff Brüssel II-b). Es finden sich Anerkennungsversagungsgründe in Art 38 für Ehesachen und Art 39 der VO 2019/1111 (Brüssel II-b) für Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung wie zB
Entscheidungen, die bereits bisher vom Exequaturverfahren ausgenommen waren, bleiben privilegiert (Art 42 Brüssel II-b). Dabei handelt es sich insbesondere um
Privilegierte Entscheidungen können weiterhin, soweit sie nicht mit einer späteren Entscheidung unvereinbar sind, nur im Ursprungsmitgliedstaat angefochten werden (Art 47 Abs 6 iVm Art 48 Abs 1 Brüssel II-b).
Im Ergebnis werden also unterschiedliche Regime bei der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung beibehalten.
Gemeinsame Bestimmungen zur Vollstreckung finden sich in Art 51ff Brüssel II-b. Für das Vollstreckungsverfahren ist grundsätzlich das nationale Recht des Vollstreckungsstaates maßgebend (Art 56 Abs 1 Brüssel II-b).
Eine in einem Mitgliedsstaat der VO Brüssel II-b ergangene Entscheidung, die im Ursprungsmitgliedstaat vollstreckbar ist, wird im Vollstreckungsmitgliedstaat unter den gleichen Bedingungen vollstreckt wie eine in diesem Mitgliedstaat ergangene Entscheidung (Art 51 Abs 1 Brüssel II-b).
Neben dem Entfall der Exequatur (= Vollstreckbarerklärung) werden in der VO Brüssel II-b Gründe für die gänzliche bzw teilweise Aussetzung oder Versagung der Vollstreckung im Vollstreckungsmitgliedstaat eingeführt (Art 56 Abs 2 und Abs 4 Brüssel II-b). Dazu zählen bspw
Die Frage, ob und wann eine Entscheidung aus einem Drittstaat anzuerkennen und zu vollstrecken ist, bestimmt sich nach internationalen Übereinkommen und nationalem Recht.
Durch die Revision soll die Zusammenarbeit zwischen den Behörden der Mitgliedstaaten verstärkt werden. Die zentralen Behörden arbeiten zusammen und fördern die Zusammenarbeit der zuständigen Behörden ihrer Mitgliedstaaten, um die Ziele der Verordnung zu verwirklichen (Art 77 Abs 2 Brüssel II-b). Dafür kann das Europäische Justizielle Netz für Zivil- und Handelssachen genutzt werden (Art 77 Abs 3 Brüssel II-b).
Ausgenommen in dringenden Fällen und bei zulässiger direkter Zusammenarbeit von Gerichten und Verwaltungsbehörden gem Art 86 Brüssel II-b sind Ersuchen an die Zentrale Behörde eines Mitgliedstaates zu richten (Art 78 Brüssel II-b).
Die Aufgaben der Zentralen Behörden werden detailliert aufgeschlüsselt und unterteilt in allgemeine (Art 77 Brüssel II-b) und besondere (Art 79 Brüssel II-b). Dabei geht es um die Einholung von Informationen über die Situation des Kindes, laufende Verfahren und Entscheidungen in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für das Kind (Art 80 Abs 1 lit a Brüssel II-b). Auch die Situation eines Elternteiles, Verwandten oder einer anderen Person, die für die Betreuung des Kindes geeignet wäre, ist von Interesse (Art 80 Abs 1 lit b Brüssel II-b).
Die gewollten Informationen sollen der ersuchenden Behörde spätestens 3 Monate nach Eingang des Ersuchens übermittelt werden; es sei denn, dass dies aufgrund außergewöhnlicher Umstände nicht möglich ist (Art 80 Abs 4 Brüssel II-b).
Vereinbarungen und öffentliche Urkunden über eine Trennung ohne Auflösung des Ehebandes und eine Ehescheidung oder in Sachen der elterlichen Verantwortung, die im Ursprungsstaat vollstreckbar sind und in anderen Mitgliedstaaten anerkannt und vollstreckt werden sollen, sind/waren schon von Brüssel II-a umfasst. Mit der Revision sollen diese zu bloßen „Privatentscheidungen“ klarer abgegrenzt werden. Gründe für die ausnahmsweise Ablehnung der Anerkennung und Vollstreckung finden sich nunmehr in Art 68 Brüssel II-b geregelt.
Insgesamt betrachtet sind die Änderungen rein verfahrensrechtlicher Art Die Verordnung Brüssel II-b soll generell die Rechtssicherheit stärken, den Zugang zu Gerichtsverfahren verbessern und effizientere Verfahren gewährleisten, die Kinderrechte stärken und den Informationsaustausch und die Zusammenarbeit der zuständigen Behörden verbessern. Eine wünschenswerte inhaltliche Ergänzung in Bezug auf den konkreten Anwendungsbereich (welche Eheformen, Scheidungsarten) blieb aus. Es fehlt nach wie vor eine erstrebenswerte unionsweite Vorgabe zu Mindeststandards der Kindesanhörung.