13.10.2025 | Arbeitsrecht | ID: 1234658

Kündigungsschutz bei grenzüberschreitender Telearbeit

Andreas Gerhartl

Die Digitalisierung ermöglicht es Unternehmen, über Ländergrenzen hinweg zu arbeiten. Grenzüberschreitende Telearbeit wirft dabei insbesondere Fragen zum allgemeinen Kündigungsschutz auf.

Grenzüberschreitende Telearbeit und Kündigungsschutz: Anwendbares Arbeitsrecht

Individualarbeits- und Betriebsverfassungsrecht

Nach objektiver Anknüpfung gem Art 8 Abs 2 der Rom-I-Verordnung unterliegt das Arbeitsverhältnis in der Regel dem Recht des Staates, in dem die Arbeit gewöhnlich verrichtet wird. Obwohl es im Rahmen von Telearbeit zur umfassenden Integration in eine Arbeitsorganisation abseits der physischen Präsenz der Arbeitnehmer kommen kann, liegt nach herrschender Ansicht der Schwerpunkt des Arbeitsverhältnisses weiterhin in der analogen Welt. Die Entsende-Richtlinie ist mangels eines physischen Grenzübertritts ebenfalls unanwendbar. Somit ist primär das Recht des gewöhnlichen (physischen) Arbeitsorts maßgeblich.

Anders als im Individualarbeitsrecht besteht für das Betriebsverfassungsstatut auf Ebene des Unionsrechts keine einschlägige Kollisionsnorm, sodass dafür das jeweilige nationale Betriebsverfassungsrecht (in Österreich also das ArbVG) ausschlaggebend ist. Für den 2. Teil des ArbVG gilt das Territorialitätsprinzip, wonach seine Bestimmungen auf Betriebe gem § 34 ArbVG im Inland Anwendung finden. Einem Betrieb im Inland kommt in weiterer Folge auch in Bezug auf Arbeitnehmer im Ausland ausstrahlende Wirkung zu, solange diese ausreichende Betriebsverbundenheit aufweisen (zB OGH 24.07.2013, 9 ObA 79/13b; 31.05.2023, 9 ObA 26/23y). Umgekehrt können im Inland tätige Arbeitnehmer auch Betriebsorganisationen im Ausland zugeordnet werden (zB BAG 24.05.2018, 2 AZR 54/18). Maßgeblich ist somit im Ergebnis der (im Inland gelegene) Standort des Betriebes und nicht (primär) der Arbeitsplatz des Arbeitnehmers.

Vorliegen eines Betriebes

Wesentlich für die Bestimmung des anwendbaren Betriebsverfassungsstatuts ist daher die Frage, welche Kriterien erfüllt sein müssen, um von einem Betrieb sprechen zu können. Unter einem Betrieb wird gem § 34 Abs 1 ArbVG eine Arbeitsstätte, die eine organisatorische Einheit bildet, innerhalb der eine physische oder juristische Person oder eine Personengemeinschaft mit technischen oder immateriellen Mitteln die Erzielung bestimmter Arbeitsergebnisse fortgesetzt verfolgt, verstanden. Keine Rolle spielt dabei, ob Erwerbsabsicht besteht oder nicht. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, liegt dagegen (bloß) eine unselbstständige Arbeitsstätte vor.

Um von einem Betrieb sprechen zu können, muss einer organisatorischen Einheit daher ein gewisses Mindestmaß an Selbstständigkeit, insbesondere in technischer Hinsicht eingeräumt sein und das Ergebnis ihres Arbeitsvorganges eine (wenn auch beschränkte) Abgeschlossenheit oder Unabhängigkeit bzw Eigenständigkeit von anderen Betriebsvorgängen aufweisen. Werden hingegen alle wesentlichen Entscheidungen in der Zentrale getroffen, liegt kein selbstständiger Betrieb vor. Das Vorliegen einer gewissen Entscheidungsfreiheit, vor allem in Personalangelegenheiten, stellt daher ein wichtiges Indiz für das Bestehen eines Betriebes dar. Im Zweifel kommt dabei auch dem Element der räumlichen Entfernung eine gewisse Bedeutung zu.

Grenzüberschreitende Telearbeit: Allgemeiner Kündigungsschutz

Die kollektivrechtlich geprägten Normen der §§ 105 ArbVG befinden sich in dem dem Territorialitätsprinzip unterliegenden zweiten Teil des ArbVG. Allerdings weist der Kündigungs- und Entlassungsschutz einen über seine kollektive Dimension hinausgehenden massiven individualrechtlichen Einschlag auf und liegt damit an der Schnittstelle zwischen dem iSd Rom-1-Verordnung als Anknüpfungspunkt dienenden Individual- und dem territorialen Betriebsverfassungsrecht (OGH 02.06.2009, 9 ObA 144/08d). Da dem Entlassungsschutz kein betriebliches Vorverfahren innewohnt, beschränkt sich die Darstellung hier auf den allgemeinen Kündigungsschutz nach dem ArbVG.

Besondere Bedeutung gewinnt die Unterscheidung zwischen kollektiver und individueller Komponente des Kündigungsschutzes, wenn etwa im Rahmen der Telearbeit Betriebsverfassungs- und Individualarbeitsvertragsstatut auseinanderfallen. Zusätzliche Komplexität wird durch die Trennung zwischen Anfechtungs- und betrieblichem Vorverfahren erreicht. Betriebliches Vorverfahren bedeutet, dass der Betriebsrat über die Kündigungsabsicht zu informieren ist und dazu Stellung nehmen kann. Für das betriebliche Vorverfahren ist aufgrund der kollektiven Prägung dagegen jedenfalls das Betriebsverfassungsstatut maßgeblich.

Das Anfechtungsverfahren greift dagegen (erst und nur) dann Platz, wenn die Kündigung (nach Abschluss des Vorverfahrens) ausgesprochen wurde und daher angefochten wird. Da in ausländischen Betrieben allerdings kein Betriebsrat iSd ArbVG eingerichtet wird, gibt es demzufolge auch kein Belegschaftsorgan, das zur Kündigungsanfechtung berechtigt ist. In Konstellationen, in denen es um die Anfechtung einer Kündigung geht, obwohl kein Betrieb iSd § 34 ArbVG im Inland vorliegt und somit auch kein zuständiger Betriebsrat existiert, beschränkt sich die Frage daher auf die Möglichkeit der (subsidiären) Anfechtung gem § 107 ArbVG durch den gekündigten Arbeitnehmer selbst.

Einordnung des Anfechtungsverfahrens – Judikatur

Während der OGH in der Vergangenheit die Normen über die Kündigungsanfechtung wiederholt dem Betriebsverfassungsrecht zugeordnet hat, ist seiner jüngeren Rechtsprechung die Tendenz zur individualrechtlichen Einordnung zu entnehmen (OGH 29.03.1995, 9 ObA 12/95; ausdrücklich offenlassend OGH 22.01.2020, 9 ObA 89/19g). In Bezug auf die Zuständigkeitsvorschriften für Arbeitsrechtssachen der EuGVVO wurde der Kündigungsschutz (bereits) explizit dem Individualarbeitsrecht zugeordnet (OGH 02.06.2009, 9 ObA 144/08d).

Das OLG Wien übertrug diese Linie nunmehr auch auf das Kündigungsanfechtungsverfahren nach dem ArbVG. So ließ es in einer Entscheidung mangels Vorliegens eines Inlandsbetriebes die Bestimmungen der §§ 105 ff ArbVG trotz Tätigkeit des Arbeitnehmers im Inland und vertraglicher Vereinbarung österreichischen Rechts unangewendet (OLG Wien 28.04.2022, 7 Ra 103/21z).

In zwei weiteren Entscheidungen wurde die Anwendbarkeit der §§ 105 ff ArbVG in Bezug auf in Österreich für deutsche Gesellschaften tätige Arbeitnehmer verneint (OLG Wien 24.09.2024, 7 Ra 59/24h; 29.08.2024, 9 Ra 26/24w). In beiden Fällen wurde Revision an den OGH erhoben (anhängig unter den Geschäftszahlen 8 ObA 59/24w und 9 ObA 94/24z). Es ist daher derzeit noch offen, ob sich der OGH dieser Meinung anschließen wird.

Der OGH hat dazu nunmehr entschieden, dass das Vorliegen eines inländischen Betriebes erforderlich ist. Wird ein Arbeitnehmer, der als einziger Mitarbeiter eines im EU-Ausland gelegenen Betriebes seine Tätigkeit ständig in Österreich (im konkreten Fall von seinem Nebenwohnsitz in Wien) verrichtet, gekündigt, so ist, wenn das Arbeitsverhältnis dem österreichischen Vertragsstatut unterliegt, kollisionsrechtlich auch der allgemeine Kündigungsschutz nach § 105 Abs 3–7, § 107 ArbVG anwendbar. Der Arbeitnehmer kann sich jedoch nicht auf den allgemeinen Kündigungsschutz berufen, wenn kein materiell-rechtlich auch bei grenzüberschreitenden Sachverhalten erforderlicher, in Österreich gelegener Betrieb vorliegt (OGH 25.06.2025, 9 ObA 94/24z).

Mindestanzahl an Arbeitnehmern

Geht man davon aus, dass die Kündigungsanfechtung einen Betrieb im Inland voraussetzt, ist noch zu klären, ob auch die Bedingung der Beschäftigung von fünf Arbeitnehmern gem § 40 ArbVG gänzlich im Inland erfüllt sein muss. In den bisher zu entscheidenden Fällen spielte diese Frage keine Rolle.

In internationalen Sachverhalten kann ein unselbstständiger Betriebsteil eines ausländischen Unternehmens im Inland bestehen, auf den fremdes Betriebsverfassungsrecht einstrahlt. Die Arbeitnehmer dieses Betriebsteils im Inland genießen dann den Schutz der Betriebsverfassung am Betriebsstandort, ausgenommen der Bestimmungen über die Kündigungsanfechtung, die sich nach österreichischem Arbeitsvertragsstatut richtet. Diese kommen allerdings als Konsequenz einer allfälligen territorialen Beschränkung mangels Inlandsbetriebs nicht zur Anwendung.

Eben das ist bei den durch das OLG Wien entschiedenen Sachverhalten der Tätigkeit von Arbeitnehmern in Österreich für deutsche Betriebe der Fall, da die Betriebszugehörigkeit in Deutschland zu einer Kombination aus deutschem Betriebsverfassungsrecht und österreichischem Individualarbeitsrecht führt. Wird der Kündigungsschutz dem österreichischen Statut unter gleichzeitiger Voraussetzung der sachgerechten Notwendigkeit eines Inlandsbetriebs gem § 34 ArbVG zugeordnet, scheidet der österreichische Kündigungsschutz (unabhängig von der Zahl der in Österreich beschäftigten Arbeitnehmer) mangels Betriebs im Inland und der deutsche mangels anwendbaren Individualarbeitsrechts aus.

Gem § 40 Abs 1 ArbVG sind Belegschaftsorgane dann zu bilden, wenn mindestens fünf Arbeitnehmer im Betrieb beschäftigt sind, wobei grundsätzlich auch Arbeitnehmer iSd § 36 ArbVG im Ausland miteinzubeziehen sind. Unter der Voraussetzung, dass für die Anwendbarkeit des im ArbVG verankerten Kündigungsschutzes ein Betrieb im Inland vorhanden sein muss, genügt das Vorhandensein (bloß) einer unselbstständigen organisatorischen Einheit (Betriebsteil) im Inland, die erst in Verbindung mit im Ausland gelegenen organisatorischen Einheiten einen Betrieb bilden, daher dafür nicht. Arbeiten demnach bspw (lediglich) drei Arbeitnehmer in einem unselbstständigen Betriebsteil im Inland, der (erst) zusammen mit im Ausland gelegenen Organisationseinheiten einen Betrieb (in dem zumindest fünf Arbeitnehmer beschäftigt werden) bildet (bspw ein ausländischer Betrieb unterhält auch eine Filiale in Österreich), kommt der Kündigungsschutz des ArbVG für diese demzufolge nicht zur Anwendung.

Ohne Hinzurechnen von im Ausland beschäftigten Arbeitnehmern würde diese Rechtsfolge ebenfalls eintreten, wenn die inländische Arbeitsstätte zwar als Betrieb zu qualifizieren wäre, ungeachtet dessen darin aber weniger als fünf Arbeitnehmer beschäftigt werden, hingegen bei Zählung auch der im Ausland beschäftigten und dem Betrieb zurechenbaren Arbeitnehmer die maßgebliche Grenze von mindestens fünf Arbeitnehmern erreicht oder überschritten würde (bspw ein Betrieb in Österreich, in dem drei Arbeitnehmer beschäftigt werden, unterhält eine Filiale im Ausland, in der ebenfalls drei Arbeitnehmer beschäftigt werden). Diese Konstellation wird in der Praxis allerdings nur selten vorkommen.

Fazit

Bei internationalen Sachverhalten entsteht demnach durch die Kombination des Territorialitätsprinzips mit der Ausnahme für Kleinstbetriebe allenfalls die Situation, dass Arbeitnehmer unselbstständiger, im Inland gelegener Betriebsteile selbst in großen grenzüberschreitenden Betrieben den Kündigungsschutz des ArbVG verlieren können, wenn Arbeitsvertrags- und Betriebsverfassungsstatut auseinanderfallen. Wird die Linie des OLG Wien bestätigt, führt dies daher in derartigen Konstellationen dazu, dass weder der österreichische noch der ausländische allgemeine Kündigungsschutz anwendbar ist.

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