Wertsicherungsklauseln & Preisanpassung: VfGH stärkt Verbraucherschutz
Dr. Albert Scherzer erläutert ein richtungsweisendes Urteil des VfGH zu Preisanpassungs- und Wertsicherungsklauseln. Preisanpassungen in Verträgen bleiben streng geregelt. Was bedeutet das für die Praxis?
Der Verfassungsgerichtshof hat entschieden, dass § 6 Abs 2 Z 4 KSchG – das Verbot von Preisanpassungen in den ersten zwei Monaten nach Vertragsabschluss ohne individuelle Verhandlung – ebenso wie die Generalklausel zur Klauselkontrolle in § 879 Abs 3 ABGB verfassungskonform sind. Unternehmen dürfen Entgelte gegenüber Verbrauchern in dieser Zeit nicht einseitig erhöhen, sofern keine ausdrückliche Einzelvereinbarung vorliegt. Unzulässige Klauseln sind vollständig unwirksam – auch bei langfristigen Verträgen wie Miet- oder Versicherungsverträgen. Der VfGH sieht darin einen zulässigen und verhältnismäßigen Eingriff zugunsten des Verbraucherschutzes.
Preisanpassungsklauseln/Wertsicherungsklauseln: Aktuelles VfGH-Urteil
Ein aktuelles Urteil des Verfassungsgerichtshofs (VfGH G 170/2024, G 37-38/2025) sorgt für Klarheit bei Preisanpassungsklauseln in Verbraucherverträgen – und für Verunsicherung in vielen Branchen. Zwei Immobilienunternehmen hatten die Verfassungsmäßigkeit zweier zentraler Verbraucherschutzvorschriften angefochten:
§ 6 Abs 2 Z 4 Konsumentenschutzgesetz (KSchG) verbietet es Unternehmern, Entgelte innerhalb der ersten zwei Monate nach Vertragsabschluss einseitig zu erhöhen, wenn diese Klauseln nicht individuell verhandelt wurden.
§ 879 Abs 3 ABGB erlaubt die gerichtliche Kontrolle von Vertragsklauseln, die eine gröbliche Benachteiligung der Konsumentenseite bewirken.
Der Ausgangspunkt war ein Mietrechtsstreit, bei dem ein Mieter Geld zurückforderte, weil eine vereinbarte Indexklausel schon kurz nach Vertragsbeginn zur Mieterhöhung geführt hatte – entgegen dem Konsumentenschutzgesetz. Die Gerichte gaben ihm Recht. Daraufhin wandten sich die betroffenen Unternehmen an den VfGH, der nun beide Bestimmungen in vollem Umfang für verfassungskonform erklärt hat.
Argumentation der Unternehmensseite
Die Unternehmen hatten argumentiert, dass gerade bei langfristigen Verträgen – etwa Mietverhältnissen oder Versicherungen – eine gewisse Flexibilität bei der Preisgestaltung notwendig sei. Ein generelles Verbot von Preisanpassungen in den ersten zwei Monaten sei sachlich nicht gerechtfertigt. Zudem sahen sie sich durch die vollständige Unwirksamkeit fehlerhafter Klauseln wirtschaftlich unverhältnismäßig benachteiligt. Auch die Generalklausel zur AGB-Kontrolle im ABGB sei zu unbestimmt formuliert und mache es Unternehmen unmöglich, verlässlich zu kalkulieren, welche Klauseln rechtlich Bestand hätten.
Entscheid des Verfassungsgerichtshofs
Der Verfassungsgerichtshof folgte dieser Argumentation nicht. Zwar wurde anerkannt, dass die Regelungen in Eigentumsrechte und Vertragsfreiheit eingreifen, doch dieser Eingriff sei zum Schutz der Konsumentinnen und Konsumenten gerechtfertigt. Der Gesetzgeber dürfe sehr wohl regeln, dass Preisänderungen nicht sofort nach Vertragsabschluss erfolgen dürfen, um Überraschungen zu vermeiden. Der Unternehmer könne Preisanpassungen auch anders absichern – etwa über anfänglich höhere Preise, klare Staffelungen oder verhandelte Klauseln. Die Zweimonatsfrist sei zumutbar.
Auch die Praxis, dass eine unzulässige Klausel vollständig wegfällt, sei rechtlich in Ordnung. Nur so lasse sich der gewünschte Abschreckungseffekt erzielen, der Unternehmer dazu bringt, von Anfang an rechtskonforme Vertragsbedingungen zu wählen. Diese Argumentation stützt sich nicht zuletzt auf europarechtliche Vorgaben. Der Europäische Gerichtshof verlangt schon länger, dass missbräuchliche Klauseln ersatzlos gestrichen werden – auch dann, wenn das für Unternehmen unangenehme wirtschaftliche Folgen hat.
Achtung:
Ob Mietzinserhöhungen im Einzelfall zurückgezahlt werden müssen, entscheidet immer das zuständige Zivilgericht. Eine automatische Pflicht zur Rückzahlung wurde nicht eingeführt – daher ist die Wirksamkeit jeder einzelnen Klausel jeweils gesondert zu prüfen.
Auswirkungen für die Immobilienwirtschaft
Für die Praxis bedeutet das Urteil erhebliche Konsequenzen. Besonders betroffen ist die Immobilienwirtschaft. Viele Mietverträge enthalten Wertsicherungsklauseln, die eine Anpassung des Mietzinses an die Inflation vorsehen – oft ohne zu berücksichtigen, dass in den ersten beiden Monaten nach Vertragsabschluss keine automatische Erhöhung erlaubt ist, sofern keine Einzelverhandlung stattgefunden hat. Ist eine solche Klausel unwirksam, darf die Miete nicht erhöht werden – weder sofort noch später. Bereits vorgenommene Erhöhungen können rückwirkend rückforderbar sein. Das kann sich massiv auf die Wirtschaftlichkeit langfristiger Bestandsverträge auswirken, insbesondere dort, wo Kündigungen nur eingeschränkt möglich sind.
Achtung:
Es ist aktuell noch unklar, welche Verjährungsfristen (3 oder 30 Jahre) für zu Unrecht bezahlte Beträge gilt. Die Regierung hat angekündigt, eine entsprechende Lösung im Sinne einer Verjährungsvorschrift in Zusammenhang mit Wertsicherungsklauseln zu schaffen. Dies bleibt jedoch bis auf Weiteres abzuwarten.
Auswirkungen für die Versicherungs- und Kreditwirtschaft
Auch Versicherungen müssen ihre Vertragsgestaltung kritisch prüfen. Gerade in der privaten Krankenversicherung sind automatische Prämienanpassungen üblich. Doch wenn diese nicht gesetzeskonform vereinbart wurden, entfällt die Anpassungsmöglichkeit vollständig – mit potenziell beträchtlichen finanziellen Auswirkungen für die Versicherer. Gleiches gilt für Banken, bei denen variabel verzinste Kreditverträge ohne sauber formulierte Anpassungsklauseln im Zweifel als „fix verzinst“ behandelt werden könnten – inklusive Rückzahlung überhöhter Zinsbeträge.
Ausblick und rechtliche Konsequenzen
Das Urteil hat darüber hinaus Signalwirkung für alle Unternehmen, die mit Verbrauchern standardisierte Verträge abschließen. AGB müssen jetzt noch sorgfältiger geprüft und gestaltet werden. Eine Preisanpassungsklausel ist nur dann zulässig, wenn sie transparent, sachlich begründet und für beide Seiten fair ist. Sie darf also nicht nur Preiserhöhungen zugunsten des Unternehmens zulassen, sondern muss im selben Maß auch Preissenkungen vorsehen. Die Anpassung muss außerdem nachvollziehbar an objektive Kriterien – etwa einen Index – gebunden sein. Vor allem aber darf keine Preiserhöhung in den ersten zwei Monaten erfolgen, es sei denn, diese wurde mit dem Kunden im Einzelfall ausverhandelt. In der Praxis ist das kaum möglich, weshalb der Regelfall sein muss, dass Preisänderungen erst ab dem dritten Monat greifen.